Klassiker

Bratwurst

Ja, wenn ich diese Anzeige von Fa. Reichelt sehe, dann werden wehmütige Erinnerungen wach. Wie mein Vater mir auf der Kirmes meine allererste traditionelle Chili-Lemon-Bratwurst kaufte und mir die Geschichte dieses Klassikers unter den gebrühten, gecutterten Wurstwaren erzählte: Wie Leonardo da Vinci erste Pläne einer Wurst mit exotischen Gewürzen zeichnete, jedoch ins Visier der Inquisition geriet und die geheime „Bruderschaft der Chili-Lemon-Bratwurst“ gründete, die sein Wurstgeheimnis über die Jahrhunderte hinweg bewahrte. Wie dann der Soldatenkönig Friedrich-Wilhelm I. Mitglied der Bruderschaft wurde, das Geheimrezept stahl und seine Leibgarde mit einer entsprechenden Spezialdiät („Meine langen Kerls sollen hohe Mützen tragen, in denen sie mindestens 6 Chili-Lemon-Bratwürste ständig mit sich führen können.“) praktisch unbesiegbar machte. Wie Friedrich-Wilhelm II. einer Ranküne Voltaires zum Opfer fiel, den Kartoffelanbau forcierte und die Schlacht von Kunersdorf verlor, weil seine entkräfteten Truppen vergeblich um Chili-Lemon-Bratwürste flehten. Und wie dann schließlich bei der Märzrevolution 1848 das Chili-Lemon-Bratwurst-Rezept erstmals öffentlich gemacht wurde und die Chili-Lemon-Bratwurst endlich ihren Siegeszug durch alle gesellschaftlichen Schichten Deutschlands antreten konnte.
Aber auch modernere Legenden ranken sich um diesen Wurstklassiker: Wie Max Schmeling den Rückkampf gegen Joe Louis verlor, weil der amerikanische Zoll seine Chili-Lemon-Bratwürste beschlagnahmt hatte. Wie amerikanische Soldaten nach dem 2. Weltkrieg begannen, mit den „Frauleins“ zu fraternisieren, weil die so unvergleichliche Chili-Lemon-Bratwürste grillen konnten. Wie Paul McCartney vor dem Star Club in Hamburg seine erste Chili-Lemon-Bratwurst verspeiste und sofort den Song „Sgt. Chili’s Lemon Hearts Club Band“ schrieb, der wenige Jahre später – textlich leicht abgewandelt – Weltruhm erlangte. Wie Paul Breitner und Gerd Müller nach dem Erringen der Weltmeisterschaft 1974 noch am selben Abend ihren Rücktritt erklärten, weil die DFB-Funktionäre ihnen die Chili-Lemon-Bratwürste weggegessen hatten. Und wie die wackeren DDR-Bürgerrechtler ein ums andere Mahl betonten „Entweder die Chili-Lemon-Bratwurst kommt zu uns oder wir kommen zur Bratwurst!“ und so die Mauer zum Einsturz brachten…
Ach, es gibt so viele Geschichten, in denen die Chili-Lemon-Bratwurst die heimliche Hauptrolle spielt… So ist das eben. Mit Klassikern.

[tags]Bratwurst, Unfug, gehirnalbern, Ungeheuer![/tags]

Der Bratwurstritter

Von einer ganz, ganz großen Delikatesse ist die Rede: von der Bratwurst. Bevor ich jetzt zum Wahnsinnigen erklärt werde: mit Bratwurst meine ich natürlich nicht das, was in 99 Prozent alles Imbissbuden des deutschsprachigen Raums als „Bratwurst“ bezeichnet wird. Ein Verwendungszweck für diese fett-triefenden Holzkohlen-Brennstäbe, die dort verkauft werden, muss noch gefunden werden, denn Essen kann man derlei Zeugs sicherlich nicht, es sei denn, man erwägt die Eröffnung einer eigenen Sodbrennerei oder möchte seinen Gaumen mal wieder so richtig abhärten.
Insbesondere Berlin konnte ich bis vor wenigen Tagen nur als Bratwurst-Diaspora bezeichnen. Das, was in den Vitrinen selbst renommierter Berliner Fleischer lag und liegt, treibt jemandem, der mit den unvergleichlichen frischen, ungebrühten Bratwürsten Nordhessens großgeworden ist und seine erste solche auf einem traditionellen Schlachtekohl angemessen bekam, Tränen des Zorns und der Verzweiflung in die Augen. Doch damit ist jetzt Schluss.
Ein Ritter in schimmernder Rüstung hat die Berliner Wurst-Dämonen besiegt und bietet jetzt Berlins beste Bratwurst an, und zwar so, wie es sich für eine richtige Bratwurst gehört: frisch, grob und ungebrüht. Der Mann hinter der Wurst ist natürlich niemand anderes als der hier in der Netzecke schon mehrfach mit Ehrfurcht erwähnte Fleischer Marcus Benser, der Neuköllner Protein-Papst, den viele wegen seiner mehrfach preisgekrönten Hausspezialität auch als Blutwurstritter kennen. Nun, ab sofort ist er auch noch der Bratwurstritter, denn das, was da als „frische, ungebrühte Bratwurst“ bei ihm über den Tresen geht, ist schlicht und einfach eine der größten Delikatessen, die man für kleiens Geld in Berlin zu kaufen bekommt.
Mir schmeckt die ritterliche Bratleiste zur Zeit mit einer Art burgenländischem Kohlrabigemüse am besten, das ich mit dem Bratensatz der Bratwurst auf Höchstleistung tune.

Pro Nase 2 grobe, ungebrühte Bratwürste, 2 kleine oder 1 großen Kohlrabi, geschält und gewürfelt, 1 kleine Zwiebel, 1 Knoblauchzehe, Tomatenmark, Paprikapulver (scharf und/oder edelsüß, nach Gusto), 1 Tomate, etwas Weißwein, 1 Esslöffel saure Sahne.
Die Bratwürste einstechen, eine Eisenpfanne auf mittlere Hitze bringen und die Bratwürste einlegen. Langsam (!) gar braten, dabei gelegentlich wenden. In einer zweiten Pfanne kleingehackte Zwiebeln und Knoblauch in etwas Butter angehen lassen, Kohlrabiwürfel dazugeben, großzügig Paprikapulver und etwa 1 Esslöffel Tomatenmark zugeben, kurz durchdünsten und mit wenig Weißwein oder Brühe ablöschen, entkernte kleingeschnittene Tomate zugeben, auf kleiner Hitze garziehen lassen. Wenn die Bratwürste fertig sind (15-20 Minuten), dieselben aus der Pfanne nehmen, das ausgetretene Fett wegschütten, den Bratensaft mit ganz wenig Wasser ablöschen und unter das Kohlrabigemüse rühren. Saure Sahne auf den Tisch stellen, davon ein Löffelchen unter das Gemüse rühren und reinhauen.

Bratwurst mit Kohlrabi

Mahlzeit!

[tags]Bratwurst, frisch, Benser, Kochen[/tags]