Ein ganz normaler Mittwochabend, auf dem Nachhauseweg seh ich von weitem die O2-Arena, dieses riesige Ufo, das mitten in einer fremden Stadt gelandet ist. Ein paar hundert Meter von dieser Luxusmuschel weg, vor der U-Bahn-Station Warschauer Straße, sitzen die jungen Leute auf der Straße, sie lassen die Flaschen kreisen, 3-4 Hunde sind auch dabei, die kriegen auf die Schnauze, wenn sie bellen, und im Kreis sitzt auch ein Mädchen, das sich eine Spritze in den Arm haut, und die andern tun so, als würden sie’s nicht sehen, und ich auch, ich muss zur U-Bahn, nach Hause.
Auf dem Bahnsteig Warschauer Straße steht diese Frau im schmutzigen Unterrock, wie alt mag die sein, vierzig, fünfzig, sechzig, ich kann’s nicht sagen, und sie singt. Erst frag ich mich, ist das ’ne Opernarie oder ein Kinderlied, was die da singt, und dann denk ich, dass sie das erfindet, so, wie es sich ihr aus der Kehle und der Seele heraus quält, und dann frag ich mich, ob sie wirklich singt, oder ob sie vor Hilflosigkeit heult. Die Lampe blinkt, die Sirene tutet, der Zug fährt gleich, und ich muss nach Hause.
Und am Kotti ist Schluss, Bauarbeiten, entweder Schienenersatzverkehr, oder über Hermannplatz nach Mehringdamm, erstmal Treppe runter, da komm ich an einem Kerl vorbei, der einfach mitten auf den Bahnsteig strullt, einen riesigen Bach, und dann stürz ich nur auf die Rolltreppe zu, wo eine Frau mich fragt, ob es hier zum Schienenersatzverkehr geht. Natürlich muss man runter, wenn man zum Bus will, ist doch klar, aber die hat wohl nur irgendwas gefragt, um dieses ekelhafte Plätschern zu übertönen, richtig dankbar muss ich ihr sein für die dämliche Frage. Bald bin ich zuhause.
Und dann im Zug nach Hermannplatz, kurz bevor er losfährt steigt ein Pärchen ein, sie sah aus, wie… ich weiß jetzt nicht, wie man das politisch korrekt ausdrückt, behindert, zurückgeblieben, eben wie jemand, der sich mit einem kapitalen Dachschaden durchs Leben kämpfen muss, und sie war stockbesoffen. Genau wie der Typ, der sie begleitet hat, riesengroß, mindestens zwei Zentner schwer, den Schädel zur Hälfte kahl rasiert. Als er sich ächzend auf die Bank niederließ, stand die Frau neben ihm auf, zwängte sich an ihm vorbei und stürzte aus dem Waggon raus, solange die U-Bahn noch stand. „Schlampe!“ brüllte der Kerl und stierte verschleiert hinter ihr her, dann holte er eine handvoll Portionsfläschchen Schnaps oder was aus der Tasche, und in den 3 Minuten bis zum Hermannplatz haben er und die Frau mit dem Dachschaden jeder zwei dieser Fläschchen leer gemacht. Sie hat nix gesagt, aber er hat ein paar mal was gebrüllt, ich konnte nicht verstehen, was er da brüllte, ich wollte es auch nicht verstehen. An der nächsten Station, Schönleinstraße, sind viele ausgestiegen. Als die Bahn wieder losfuhr, war der Waggon fast leer, was wollten die denn alle in der Schönleinstraße? Ich will nur noch nach Hause.
Und schließlich am Südstern, da steigt dieser Mann ein, mit einem Gesicht so voller Ekel, so voller Hass, das hab ich noch nicht gesehen, wie dieser Mann die Welt mustert. Dann seh ich, er hat ’ne Tasche dabei, da ist was Schweres drin, was kann das sein? ’ne Wumme? Oder ’ne Granate? Soll ich aussteigen? Quatsch, ich mach mich nicht lächerlich, der nächste Zug kommt erst in zehn Minuten, ich will endlich nach Hause.
Ein ganz normaler Mittwochabend in der Berliner U-Bahn, von Friedrichshain nach Kreuzberg. Das kann nicht viel länger gut gehen.
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