Heute wäre mein Vater, Ernst Kurbjuhn, 100 Jahre alt geworden. Hätte ich – oder irgendjemand anders – ihm einmal gesagt, dass die Menschen 100 Jahre nach seiner Geburt zum Rauchen und Telefonieren auf die Straße gehen würden… Er hätte an meinem Verstand oder dem der ganzen Menschheit gezweifelt. Vollkommen zurecht, übrigens.
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Ja, völlig zurecht. Frau M., eine 75jährige Dame, sagte letztens zu mir: „Wissen sie, ich komme mit meiner Einkaufstasche kaum noch durch die Straße. Vor allen Lokalen stehen mittlerweile Tische, ich tu mich mit meinen kranken Beinen schwer, da vorbei zu kommen. Umberto Ecco hat gesagt: ‚Das öffentliche telefonieren bedeutet: Die Unfähigkeit des Menschen allein sein zu können.‘ Die Menschen wohnen in den Straßen.“
Am Freitag machte ich die Beobachtung, daß vor mir ein Pärchen Hand in Hand ging. Er telefonierte am rechten Ohr, der andere am linken. Meine Bitte: „Darf ich mal vorbei,“ wagte ich nicht zu äußern. Jemand anderer schob sich im Gehen ein Viertel Pizza hinein. Der Kampf mit dem Fäden ziehenden Käse machte auf mich einen unappetittlichen Eindruck.
Menschen, die in Badelatschen, den Oberkörper mit einem Unterhemd bedeckt, durch die Straßen schlurfen, telefonieren, coffees trinken, telefonieren, futtern.
Ich wundere mich über mich selbst, daß ich die Menschen in ihren Freizeitaktivitäten so unerträglich finde.