Nicht erst seit dem letzten Wochenende, als die AfD und ihre Gegner in Berlin demonstrieren, spekuliert man gern über die tatsächliche Teilnehmerzahl bei Demonstrationen, auch bei der Tagesschau wurde das heute thematisiert.
Ich kann dazu eine kleine Geschichte beitragen. Vor ungefähr 45 Jahren (ja, ist lange her) arbeitete ich in einer Initiative mit, die für ein Jugendzentrum in meiner Heimatstadt kämpfte. Es war uns gelungen, eine öffentliche Demonstration durch die Eschweger Innenstadt zu organisieren1, und wenige Tage vor der Demo warnte mich ein ehemaliger Mitschüler, der ein paar Jahre zuvor eine Demonstration gegen die Notstandsgesetze organisiert hatte: „Pass auf, was die in der Zeitung über die Teilnehmerzahl schreiben, bei uns haben die damals nur die Hälfte angegeben.“
Ich beherzigte den Ratschlag, stellte mich bei der Abschlusskundgebung neben den Redakteur der Werra-Rundschau und zählte mit ihm die Anwesenden durch. Wir waren uns einig, das bei der Schlusskundgebung über 800 Leute anwesend waren und ca. 650 Menschen demonstriert hatten.
Zwei Tage später las ich dann in der Zeitung, dass „ungefähr 350 Jugendliche“ demonstriert hatten. Ich staunte nicht schlecht, und rief den Redakteur an, mit dem ich die Demonstrierenden ja GEZÄHLT hatte. Der meinte ungerührt, dass die Zahl „350“ von der Polizei gekommen sei, und wenn’s von der Polizei kommt, dann sei das eben die „offizielle“ Zahl.
- War gar nicht so einfach, damals. Demos galten damals automatisch als von der „sogenannten DDR“ ferngesteuerter Umsturzversuch. ↩