Vor einigen Jahren fand ich eine kreuzdämliche Ausschreibung eines kirchlichen Filminstituts in meinem Briefkasten. Die cinephilen Pfaffen wollten allen heiligen Ernstes ein Drehbuch für einen Kurzfilm haben, der die Entstehung des Erntedankfests zum Thema haben sollte. Da ich absolut keine Ahnung hatte und habe, wie das Erntedankfest entstanden ist, fühlte ich mich sofort berufen, ein entsprechendes Drehbuch zu verfassen. Aber, wie man so schön sagt, der Stoff bestimmt das Genre. Was auch immer ich versuchte, mein Erntedankfest landete nicht beim Film sondern auf der Bühne, in der vollkommen zu recht in Vergessenheit geratenen Gattung des vage verkroetzten Bauerndramas…
Als Bauer Paul das Erntedankfest erfand
Ein Volksstück
Eine düstere Bauernstube im Mittelalter. Um den Eßtisch herum sitzen BAUER PAUL, seine Frau, die BÄUERIN, seine Mutter OMA PAULA, sein Sohn PAULCHEN und RUPPRECHT, der Knecht. Sie essen eine Wassersuppe aus einer großen Schüssel, die in der Mitte des Tisches steht und beißen gierig in große Brocken dunklen Brots. Kerzen erhellen notdürftig ihre vom Wetter gegerbten Gesichter.
BAUER PAUL: Das war’s. Die Ernte ist eingebracht.
RUPPRECHT: Jau. Zefix.
PAULCHEN: Ich will ’nen Walkman!
BÄUERIN: Schweig, Bub. Sowas können wir armen Bauersleut uns net leisten.
BAUER PAUL: Außerdem is noch net erfunden.
RUPPRECHT: Jau. Zefix!
OMA PAULA: Ein hartes Stück Arbeit war’s.
BAUER PAUL: Was?
OMA PAULA: Das Einbringen der Ernte. Dummer Bub!
BÄUERIN: (spitz) Mußt du gerad sagen. Während wir auf dem Feld geackert haben, warst du die ganze Zeit bei der Verwandschaft in Alzheim und hast dummes Zeugs geredet!
RUPPRECHT: Jau. Zefix!
OMA PAULA: Das muß ich mir net sagn lassen. Net, solang des noch mein Hof is!
BAUER PAUL: Hast schon lang versprochen, ihn zu überschreiben!
OMA PAULA: Des geht doch net, dummer Bub. Der Schreiber in der Stadt hat gesagt, ich müßt unterschreiben, wenn ich überschreiben will. Des übersteigt meinen Verstand! Bin doch nur ein altes Bauernweib… (schluchzt)
BÄUERIN: Weils net will. Weils uns den Hof net gönnt, dein Drecksmutterl!
PAULCHEN: Ich will ’n Gameboy!
BAUER PAUL: Schweig, Bub! Wir sind arme Leut, wir müssen zufrieden sein, mit dem was wir haben.
OMA PAULA: Ist außerdem auch noch net erfunden!
RUPPRECHT: Jau! Zefix!
PAULCHEN: Des weiß die Oma, daß es einen Gameboy noch net gibt, aber wie man einen Hof überschreibt, des weiß sie net!
OMA PAULA: Bin doch nur ein altes Bauernweib! (greint)
BÄUERIN: Drecksmutterl!
OMA PAULA: Was hat die schieche Schlampe gesagt?!
BAUER PAUL: Nix hat’s gesagt!
BÄUERIN: Hat dein Drecksmutterl mich schieche Schlampe geheißen?
BAUER PAUL: Hat’s net. Gib a Ruh, Frau.
OMA PAULA: Schieche Schlam…
BAUER PAUL: Und du auch, Dr… Mutterl.
RUPPRECHT: Jau. Zefix.
OMA PAULA: Wenn dein lieber Vater noch wär…
PAULCHEN: Opa ist bei den Englein.
OMA PAULA: Lieber Bub!
PAULCHEN: Oder er ist ein Karnickel auf Sizilien und rammelt in den Tag hinein.
OMA PAULA: Haaaaah! (weint hemmungslos)
BÄUERIN: Was weinst denn so?! Hat er doch schon zu seinen Lebzeiten so gehalten. Kein Rock war sicher vor deinem sauberen Mann, sogar an mir hat er sich vergreifen wolln, an seiner eigenen Schwiegertochter!!
OMA PAULA: Haaaaaaah! (noch hemmungsloser weinend) Und mich hat er nie angrührt!
BÄUERIN: Nie angrührt?! Ha! Und wie bist du dann zu meinem Mann kumma? Dem Schlappschwanz?! Ha?!!
OMA PAULA: (unter Tränen) Der Paul ist doch vom Rupprecht…
Betroffenes Schweigen und Essen.
BAUER PAUL: (zu RUPPRECHT, zögernd) Papa?
RUPPRECHT: Jau. Zefix.
PAULCHEN: Ich will Farbfernseh!
BAUER PAUL: Schweig, Bub! Siehst net, was für ein Unglück über die Familie kumma is?
PAULCHEN: Nö.
BÄUERIN: Is au recht. Außerdem, ein Farbfernseh is au noch net erfunden!
PAULCHEN: Dann erfind ich’s eben!
BAUER PAUL: Nix da. Bauer wirst! Wie wir alle!
PAULCHEN: Nein, Bauer werd ich net. Ich lauf fort von zuhaus und erfind das Farbfernseh!
PAULCHEN springt auf und läuft aus dem Haus.
OMA PAULA: Waaah! Da geht er hin, mein Paulchen, mein Sonnenschein…
BÄUERIN: Vertrieben hast ihn, mit deinem Geiz! Geblieben wär er scho, hättst den Hof überschrieben! Drecksmutterl!
OMA PAULA: Des muß ich mir sagn lassen! Nach einem Leben nur voll Müh und Arbeit! (schluchzt) Ich geh in die Scheuer und häng mich auf, am höchsten Balken!
BAUER PAUL: Vorsicht, Mutterl. Der ist morsch. Dann stürzst und brichst dir ein Haxl.
RUPPRECHT: Jau. Zefix.
OMA PAULA: Waaaaah!
OMA PAULA rennt weinend davon.
BÄUERIN: Bist denn von allen guten Geistern verlassen?! Wenn die Alte sich jetzt erhängt, und sie hat uns den Hof net überschrieben, dann fällt er den Schwestern von der Seligen Frau zu. Und wir enden in der Stadt, im Armenhaus!
BAUER PAUL: Der Herrgott wird’s schon richten…
BÄUERIN: Warum bin ich nur geschlagen mit so einem Schlappschwanz von Mann?! Warum ich? Des trag ich net länger! Ich schnür mein Bündel und such mein Glück in der Stadt! Solang die Brüste noch fest und die Waden stramm sind… Freudenmädchen werden ja immer gebraucht.
BAUER PAUL: Frau, du versündigst dich..
BÄUERIN: Des mag sein. Aber in der Stadt krieg ich ein Geld dafür.
Die BÄUERIN steht auf und verläßt entschlossenen Schritts die Bauernstube.
BAUER PAUL: Jedes Jahr geht das so, wenn die Ernte eingebracht ist. Des macht die harte Arbeit, die setzt uns zu. Des is der Streß.
RUPPRECHT: Jau. Zefix.
BAUER PAUL: Weißt Rupp… Papa, ich denk manchmal, wenn man nach der ganzen Ernterei nicht einfach so dasitzen tät, bei Wassersupp und trocken Brot, wenn man gemeinsam ein Fest feiern tät, um dem Herrgott für die Früchte des Feldes zu danken, dann würd die Mühsal von einem abfallen und es wär eine Ruh bei Tisch. Weißt, nächstes Jahr probieren wir das mal. Gleich morgen geh ich zum Pfaffen und frag ihn, ob er uns eine schöne Rede hält.
RUPPRECHT: Jau. Zefix.
BAUER PAUL: (versonnen) Man könnt‘ es „Erntedankfest“ nennen…
Sie essen. Vorhang.
Ende
Hallo an alle! Diese Website ist fantastisch und ich bin sicher, dass ich wieder hier zu sein.
Tolles Stück! Das würde ich gern mal sehen. Schade, dass ich am Sonntag keine Zeit habe.
Soeben erst entdeckt un völlig begeistert. Schlage ein Hörspiel vor. Übernehme gern den Ruprecht.
Du bringst mich da auf eine Idee. Louie, ich denke, dies ist der Beginn eines wundervollen Projekts…