Tischordnung

Äußerst Bedenkliches gibt es heute von der deutschen Fußballnationalmannschaft zu berichten. Eine „Führungskrise“ rauscht durch den Blätterwald, die Sportbild sieht einen „isolierten Kapitän“, und auch der Tagesspiegel vermeldet „Zweifel an der Position Ballacks innerhalb der Mannschaft“. Wie immer versucht der DFB, den Deckel auf dem skandalträchtigen Topf zu halten und schiebt Marcel Jansen zum Abwiegeln vor, der in der Rheinischen Post bekannt gibt: „Bei uns gibt es überhaupt keine Reibungspunkte. Michael sitzt auch nicht alleine am Tisch, er wird von allen anerkannt und ist ein wichtiger Führungsspieler.“
Die Wahrheit ist – wie immer – wesentlich schlimmer. Der Netzecke ist ein hochbrisantes Tonbandprotokoll zugespielt worden, dass ebenso eindrucksvoll wie erschütternd dokumentiert, welche Klimmzüge mannschaftsintern mittlerweile unternommen werden müssen, damit Michael Ballack nicht alleine am Tisch sitzen muss.

„Eyh, Leute, alle Mal herkommen, wir müssen noch ein taktisches Detail klären. Wer sitzt beim Mittagessen an Michas Tisch?“
„Vergiss es, Lutscher. Heute gibt‘s Spaghetti Bolo, das tu ich mir nicht an. Die schlürft er einzeln in sich rein und will sich totlachen über die Geräusche, die das macht. Nee, muss ich nicht haben.“
„Nu sei mal nicht so zimperlich, Basti…“
„Torsten! Bei dem Geschlürfe vergeht mir total der Appetit, da krieg ich keinen Bissen runter…“
„Ist doch prima. Hast doch eben selber noch dem ZDF gesagt, dass wir in der Quali hungrige Spieler brauchen. Also, du sitzt an Michas Tisch…“
„Hähä, Eigentor, Basti…“
„Du willst dich dazusetzen, Miro?“
„Zu Micha? Nääääh…“
„Komm, Miro, gerade du als Stürmer, du musst doch dahin gehen, wo‘s wehtut.“
„Ich werd lieber von Gattuso weggegrätscht als dass ich mich zu Micha an den Tisch setze. Die ganze Zeit ‚Ich sehe was, was du nicht siehst‘ spielen, das hältst du doch nicht aus…“
„Und dabei muss man Micha immer noch gewinnen lassen, sonst tickt der total aus…“
„War das eine freiwillige Meldung, Kevin?“
„Nein! Nein! Ich hab heute schon mit ihm gefrühstückt. Da hat er mir gezeigt, was man aus Nutella alles modellieren kann, unter anderem einen total lebensechten…“
„Ich will‘s gar nicht wissen. Okay, du bist entschuldigt. Also, wir haben Basti, Miro, wir brauchen noch einen vierten Mann für Michas Tisch… Marko!“
„Och, Menno… warum setzt du dich eigentlich nicht selbst zu Micha, Torsten?“
„Ich hab beim Bankett nach Ollis Abschiedsspiel neben ihm gesessen. Er hat von allen Tischen die Zahnstocher geklaut, kleine Käfige gebastelt und Tiere reingesetzt, die er aus Brotklumpen geknetet hat. Das war dann sein Streichelzoo. Verstehst du jetzt, warum meine Leidensfähigkeit erschöpft ist? Und warum gerade du als junger Spieler hier Erfahrungen sammeln solltest?“
„Ja, klar. Gut. Setz ich mich eben zu Micha… aber sag mal, warum macht ihr wegen dem eigentlich so einen Aufriß? Lasst ihn doch einfach mal alleine hocken.“
„Das haben wir schon zweimal versucht. Dann hat Micha wieder angefangen zu flennen, der Trainer hat Mitleid bekommen und sich zu ihm gesetzt. Und dann hat Micha ihm die Taktik fürs nächste Spiel gesagt. Das eine Mal war das vorm Halbfinale 06, das andere Mal vor dem Finale 08.“
„Oh.“
„Merk dir’s: Der Capitano darf nicht alleine essen. Egal, was passiert, der Capitano darf nicht allein am Tisch sitzen!“

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