Über den stählernen Überlebenswillen unserer Berliner Senioren habe ich vor einigen Monaten berichtet. Heute wurde mir eine andere herausragende Eigenschaft der rüstigen Rentner unserer Stadt plastisch vor Augen geführt: die außergewöhnliche Flexibilität, mit der sie sich geschmeidig wie ein Schlangenmensch auch auf blitzschnell eintretende Wechselfälle des Lebens einstellen.
Um kurz vor neun suchte ich heute die Ausgabestelle des Bürgeramtes Friedrichshain/Kreuzberg auf, weil ich meinen neuen Personalausweis abholen wollte. Im dritten Stock angekommen stand ich vor einer verschlossenen Tür mit heruntergelassener Jalousie. Ratlos zückte ich meinen Abholzettel und stellte fest, dass die Ausgabestelle donnerstags erst um 11 öffnet.
„Wenn Sie wat abholen wollen, die Ausjabestelle macht um neun Uhr uff!“ dröhnte mir plötzlich die welterfahrene Jovialität von ca. 75 Jahren Kreuzbärch ins Ohr.
„Wirklich?“, wagte ich zu erwidern. „Auf dem Abholschein steht donnerstags ab 11…“
„Det sind die ollen Abholscheine. da steht det noch falsch druff. Die machen um 9 Uhr uff, det können Se mir jlooben.“
„Sind Sie sicher?“
„Wäre ick sonst hier?“
Konnte ja sein, dass er sich wirklich auskannte. Es waren nur noch zwei oder drei Minuten bis neun, die Zeit konnte ich investieren, um zu sehen, ob er recht hatte.
Es wurde neun Uhr. Nebenan wurde die Tür der Wartemarkenausgabestelle geöffnet. Die Tür, vor der wir beide warteten, blieb zu. Ich zog die Augenbrauen hoch und sah den sich auskennenden Senior fragend an. Der schwieg jedoch lastend und starrte angestrengt in eine andere Richtung.
In diesem Moment öffnete sich die Fahrstuhltür, ein junger Mann stürzte heraus und rüttelte an der verschlossenen Tür der Ausgabestelle. Da fand der vermessene Veteran seine Sprache wieder: „Sie sind zu früh, junger Mann! Donnerstags machen die erst um 11 Uhr uff!“
Ja. Doch. Der Mann kennt sich aus.
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Tja, flexibel muss man bleiben – auch im Alter :D