Springsteen hab ich nie gesehen. Zweimal hatte ich Karten, zweimal kam mir eine Spielplanänderung dazwischen, ich musste Theater spielen statt ins Konzert zu gehen. Ansonsten hab ich fast alle live gesehen, die mir musikalisch wichtig waren: Rory Gallagher. Die Who. Grateful Dead. Crosby, Stills & Nash. Chuck Berry. Ray Charles. James Brown. Bob Dylan. Frank Zappa. Paul McCartney. Um nur ein paar zu nennen. Springsteen fehlt mir in meiner Sammlung, und so wird das leider auch bleiben, die Ticket-Preise, die er für seine Tour nächstes Jahr aufruft, will ich nicht zahlen.
Also kann ich jetzt mal Bilanz ziehen: Was war das beste Konzert meines Lebens? Nun, nach sorgfältiger Abwägung waren das … (Trommelwirbel) … „The Pirates“, Anfang 1979 im Kant-Kino in Berlin.
Heutzutage kennt diese Band wohl kaum einer mehr. „The Pirates“ waren in den 60er Jahren als „Johnny Kidd and the Pirates“ unterwegs und hatten ein paar Hits, unter anderem den Klassiker „Shakin‘ all over“. Damit war Schluss, als Kidd 1966 bei einem Autounfall ums Leben kam. Zehn Jahre später formierten sich Johnnie Spence (b), Frank Farley (dr) und Mick Green (g) als „The Pirates“ neu und brachten zwei bemerkenswerte Alben heraus, extrem subtil „Skull Wars“ und „Out Of Their Skulls“ betitelt, die mich damals beeindruckt hatten: schnörkelloser, treibender Rock auf höchstem Energielevel. Genau einmal sind die Pirates in Berlin aufgetreten, am 21. Februar 1979 im Kant-Kino.
Etwa zwei Stunden dauerte dieses Konzert, zwei Stunden lang powerten diese drei Musiker die reine, ungehobelte Rock’n Roll-Energie von der Bühne runter. Sicherlich war Farley nicht der vielseitigste Drummer, und Johnnie Spence ein eher eindimensionaler Shouter, aber zusammen bildeten sie das kompakteste, straffste Rock-Rückgrat einer Band, das ich je erlebt habe, vor dem Mick Green, der wohl unterschätzteste Gitarrist der Rock-Geschichte, mit unglaublich schnörkellosen Schnörkeln die Telecaster kreischen ließ. Es dauerte keine drei Takte, dann saß im Kant-Kino keiner mehr, man konnte gar nicht anders, als mit dieser Band mitgehen.
Dieses Video gibt eine leise Ahnung von der Energie, die diese Band verströmte, im Kant-Kino konnte man die Klänge, die von der Bühne dröhnten, körperlich spüren und mit Händen greifen, es war eine absolut außerirdische Atmosphäre, wie ich sie vorher und nachher nie wieder erlebt habe.
Im letzten Drittel des Konzerts hatte sich eine junge Dame zum Bühnenrand vorgearbeitet, schwenkte ein Foto und rief immer wieder „Johnnie! Johnnie!“ Spence hörte zu spielen auf, kam an die Rampe und holte sich das Foto. Er betrachtete es und grinste dann breit und dreckig. Green und Farley hörten ebenfalls auf zu spielen, um sich das Foto anzuschauen. Sofort grinsten auch sie und nickten anerkennend. „Filthy Picture!“ rief Spence erklärend und begann, sein Bassriff weiterzuspielen. Rock’n Roll pur.
They don’t make musicians like that anymore. Soll Springsteen doch machen, was er will. We’ll always have The Pirates.
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