Bei Herrn P. habe ich meinen ersten Versicherungsvertrag abgeschlossen. Das ist mehr als 25 Jahre her. Eines Tages stand Herr P. vor meiner Tür, stellte sich als Vertreter einer großen deutschen Versicherungsgesellschaft vor und fragte mich, ob ich eine Unfallversicherung hätte. Natürlich hatte ich keine, und ich wollte auch keine, aber der Zufall wollte es, das wenige Tage vor Herrn P.s Erscheinen bei mir eingebrochen worden war (Uhr, Marantz-Verstärker, Super-8-Kamera weg). Ein solcher Einbruch führt zu einer schiefen Gemütslage, die sich durch den Abschluß einer Hausratversicherung begradigen läßt. Also kaufte ich Herrn P. eine Hausratversicherung ab, die sich als voller Erfolg erwiesen hat. Seitdem ist bei mir nicht mehr eingebrochen worden.
Von da ab tauchte Herr P. einmal im Jahr bei mir auf. Meistens rief er in der Vorweihnachtszeit an, um sich anzukündigen, und kam dann mit einem kleinen Präsent an, „damit Sie mich nicht vergessen“. Im ersten Jahr brachte er zwei Cinzano-Fläschchen (Rosso und Bianco) mit. Meinen leicht entgeisterten Gesichtsausdruck deutete Herr P. durchaus richtig und brachte von Stund an ein Fläschchen besseren Weines mit, anfangs Cabernet, nachdem wir uns besser kennengelernt hatten mal einen Shiraz oder einen Pinot noir. Die Flasche köpften wir meist umgehend, und wenn meine liebe Frau uns Gesellschaft leistete, mußte meist noch eine aus meinen Beständen dran glauben. Manchmal verkaufte mir Herr P. bei diesen vorweihnachtlichen Treffen en passant noch eine Versicherung (Haftpflicht, Unfall denn doch) oder verbesserte die Deckungssumme einer bestehenden, doch meistens unterhielten wir uns über Gott und die Welt und verstanden uns bestens.
Manchmal tauchte Herr P. außer der Reihe mit einem guten Tropfen auf. Dann wußte ich, dass die große deutsche Versicherungsgesellschaft die Beiträge erhöhen würde, und Herr P. dies seinen Stammkunden schmackhaft machen wollte, damit ihnen nicht böse Worte wie „Sonderkündigungsrecht“ oder „Wechsel zu einer preiswerteren Gesellschaft“ durch die Köpfe zu schwirren begannen.
Es waren immer äußerst angenehme Stunden mit Herrn P., nicht zuletzt, weil sein Horizont nicht bei seinen Policen endete. Herr P. fröhnte dem Reitsport und liebte das Kabarett, sang selber gelegentlich zur Gitarre und hatte eine unersättliche Neugier auf alles, was mit darstellender Kunst zu tun hatte. Wir verstanden uns meist prächtig.
Vor drei Jahren ist Herr P. in Ruhestand gegangen. Sein Nachfolger ist ein Herr L., den ich einmal kurz zu Gesicht bekommen habe, als er bei mir im Büro vorbeischaute und einen halbherzigen Versuch unternahm, mir eine vermögensbildende Maßnahme aufzuschwatzen.
Vor zwei Wochen erhielt ich einen Brief von der großen deutschen Versicherungsgesellschaft, für die Herr P. ein Leben lang tätig war. Sie wollten mir die Beiträge für die erste Versicherung erhöhen, die ich vor mehr als 25 Jahren bei Herrn P. abgeschlossen hatte. Ich machte umgehend von meinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch und wechselte zu einer preiswerteren Gesellschaft. Eine Woche später erhielt ich ein Schreiben der großen deutschen Versicherungsgesellschaft, in dem man in dürren Worten meine Kündigung akzeptierte.
Herr P. hätte das niemals zugelassen. Herr P. hätte mich mit Anekdoten, Gesangseinlagen und Cinzano-Fläschchen bombardiert, er hätte alles getan, damit ich sein Kunde bleibe. Aber Herr P. ist ja nicht mehr modern. Die große deutsche Versicherungsgesellschaft will Global Player werden. Da interessieren die Menschen und ihre Schicksale nicht mehr, und deshalb hat man auch gleich ein paar tausend Arbeitsplätze gestrichen, nachdem man im letzten Geschäftsjahr einen Profit von mehreren Milliarden Euro eingefahren hat.
Hört mal, ihr Knalldeppen aus den Türmen in Treptow! Hört mal her! Ja, ich weiß, dass ihr für Ansichten wie meine nur ein müdes Lächeln habt. Aber komischerweise… es hat richtig Spaß gemacht, einen Vertrag mit einem miesen, menschenverachtenden Laden wie dem euren zu kündigen. Fühle mich blendend seitdem! Und wenn noch ein paar Menschen drauf kommen, wieviel Spaß es macht, euch Grützköppen mit euren Idiotenwetten kein Geld mehr zu geben… Ihr werdet kein Global Player. Ihr richtet gerade euren Laden zugrunde. Ihr habt Unrecht. Herr P. hat recht: Versicherungen haben was mit Menschen zu tun.