Gut aufgelegt

Mensch, Jasmin Kraft,

irgendwie tut es mir ja doch leid, dass ich das Gespräch mit Ihnen so abrupt beendet habe. Okay, Sie haben sich mit „Jasmin Kraft, Gewinnspielzentrale“ gemeldet, und damit bekommen Sie bei mir automatisch die Arschkarte ausgehändigt. Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaube, glaube ich auch nicht mehr an einen organisierten Zusammenschluss von Firmen, die Gewinnspiele veranstalten, aber das konnten Sie ja nicht wissen, Frau Kraft, Sie haben mich ja für doof gehalten.
Für so doof, dass Sie mich allen Ernstes gefragt haben, ob Sie mich aus der „Mitgliederdatei der Gewinnspielzentrale“ löschen sollten. Das wäre – nach einem kleinen Datencheck – ohne weiteres möglich, versicherten Sie mir und fingen sofort mit diesem besagten Datencheck an. „Sie wohnen in der Gro-ehrenstraße?“, fragten Sie mich, worauf ich Sie höflich in Richtung „Großbeerenstraße“ korrigierte. „Moment, das gebe ich gleich ein!“ sagten Sie, und ich hörte das satte Klackklackklack Ihrer Tastatur. „Wieso geben Sie Daten ein, wenn Sie sie doch löschen wollen?“, fragte ich bestürzt, worauf Sie mir allen Ernstes andienen wollten, dass Sie nur „korrekte“ Daten in den Orkus jagen dürften, und dass es deshalb dringend notwendig sei, meine kompletten Daten neu aufzunehmen, bevor sie dann endgültig gelöscht werden könnten.
Ja, Frau Kraft, was hätte ich dazu sagen sollen? Dass mich vermutlich noch niemand für so doof gehalten hat wie Sie? Nee, da wären Sie vermutlich auch noch stolz drauf gewesen. Hätte ich Ihnen einen kleinen Vortrag über deutsche Sekundärtugenden und den Schaden, der mit der konsequenten Anwendung derselben bereits angerichtet wurde, halten sollen? Wäre mit Sicherheit über Ihren Horizont gegangen. Hätte ich Ihnen erklären sollen, dass man nur Leute reinlegen kann, die dümmer sind als man selbst und dass das in Ihrem Fall vermutlich scheißschwer ist, so jemanden zu finden? Hätten Sie wohl auch nicht verstanden, hätte ich wohl Ihrem Arbeitgeber sagen müssen, aber jemand, der Denk-Kräppel wie Sie einstellt, muss geistig wohl ebenfalls stark herausgefordert sein. Nee, wenn ich’s mir recht überlege, war’s richtig, dass ich einfach aufgelegt habe. In meinem Alter macht es keinen Spaß mehr, Leute zu beschimpfen, die intellektuell nicht satisfaktionsfähig sind.

Auf Wiederhören.
Der Chris

Splitterbrötchen (CXXXI)

Ich verstehe nicht, warum Sigmar Gabriel FDP und CDU Korruption vorwirft. Ist doch sein Problem, wenn er für lau arbeitet.

Marcell Davis wird den Nahostkonflikt lösen und bei der WM in Südafrika das Siegtor schießen.

Auf Spiegel-Online las ich einen Artikel über hochintelligente Schleimpilze, die das Bahn-Netz von Tokio imitieren können. Plötzlich hatte ich die Idee für eine unkonventionelle Personal-Entscheidung, mit der man die Berliner S-Bahn auf einen Schlag logistisch und finanziell sanieren könnte.

Meine Geschäftsidee der Woche: Eine Mobilfunk-Flatrate, die es einem ermöglicht, für eine geringe monatliche Gebühr unbegrenzt zu schweigen. In allen Netzen.

 


Django winkt

„Georges! Noch ein trou normande, s’il vous plait! Von irgendwas muss dieses verdammte Sodbrennen doch weggehen.“
Noch ein gieriger Zug aus der Gitanes, und in einem energischen Schwung drückt er sie aus und zündet die nächste an, nimmt einen Schluck des mittlerweile zu warmen Weißweins, ungeduldig auf das „trou normande“ wartend.
„Wenn du wenigstens nicht mehr zwischen den Gängen rauchen würdest…“
Ihre geschwungenen Augenbrauen krümmen sich, als würde sie das Sodbrennen empfinden, das ihm gerade zu schaffen machte.
„Suzanne, sei kein Spielverderber. Heute wird gefeiert! Ah, Georges, endlich, das trou normande! Nur ein trou normande kann mir die Kraft verleihen, den Hauptgang durchzustehen.“
„Selbstverständlich, Monsieur.“
Er stürzt den Calvados herunter, leckt sich die Lippen, dass ihm kein Tropfen des Leib und Seele wärmenden Apfelschnapses entgeht, lehnt sich zurück und zieht an der Zigarette.
„Gibst du mir einen Zug von deiner Zigarette, Cherie?“
„Aber du rauchst doch nicht, Suzanne. Du hast vor Jahren aufgehört…“
„Jeder Zug, den du nicht machst, verlängert dein Leben.“
„Suzanne, ich bitte dich, hör doch wenigstens an diesem Abend mit deinen Predigten auf.“
„Es sind keine Predigten. Nach zwei Herzinfarkten…“
„Suzanne! Wenn ein kleiner, dahergelaufener Jazz-Kritiker es geschafft hat, einen Bestseller über einen mittlerweile ziemlich obskuren Gitarristen zu schreiben, der zu seinen Lebzeiten soviel Schallplatten verkauft hat wie Puff Daddy montags vor dem Frühstück, darf man schon mal ein bißchen über die Stränge schlagen!“
„Cherie, du sollst doch über die Stränge schlagen. Ich will doch, daß du über die Stränge schlägst. Aber du sollst auch morgen noch über die Stänge schlagen. Bei deinem letzten Infarkt warst du klinisch tot, 3 Minuten lang.“
„Der Tod wird überschätzt. Ich spreche aus Erfahrung.“
„Das ist nicht komisch.“
„Doch, das ist sogar sehr komisch. Ich muss das schließlich wissen. Ich war tot, und du nicht.“
Ungeduldig hält er nach Georges Ausschau, sieht ihn am anderen Ende des Saales, will nicht warten, gießt den Rest des Chablis selber ein und kleckert dabei mit Schwung, wie immer, auf die Tischdecke.
„Suzanne, ich will damit sagen, ich war gar nicht tot.“
„Die Ärzte sagen aber etwas ganz anderes. Und die ganzen Bücher, die ich gelesen habe…“
„Die auf deinem Nachtisch liegen? Dieses Zeugs über Nahtod-Erfahrungen?“
„Ich versuche nur, zu verstehen, was dir geschehen ist.“
„Begreif doch endlich, mir ist nichts dergleichen geschehen. Ich habe diese Bücher auch gelesen, und nichts, was da drin steht, diese ganzen Geschichten mit einer Tür, die sich öffnet, die zu einem unglaublich hellen Licht führt, dieses unglaubliche Glücksgefühl… das alles gab es bei mir nicht, ich kann nicht tot gewesen sein.“
„Ach, du negierst nur wieder…“
„Ich negiere nicht, was diese Leute erlebt haben, im Gegenteil, ich glaube daran. Ich glaube nur nicht, dass
mir das widerfahren ist. Oder in naher Zukunft widerfahren wird.“
„Wieso wird dir das nicht widerfahren? Bist du unsterblich geworden, weil du seit heute die Bestseller-Liste anführst?“
„Aber nein. Ich kann nicht sterben, bevor du nicht stirbst.“
„Sei nicht albern.“
„Ich bin nicht albern, ich bin todernst, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich kann nicht sterben, so lange du lebst.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Alle Menschen mit Nahtod-Erfahrungen berichten, dass sie bei ihrem Tod von einem Menschen sozusagen abgeholt worden sind. Dass sie von dem Menschen über die Schwelle ins Jenseits gebracht wurden, den sie am meisten geliebt haben, der ihnen in ihrem Leben am meisten bedeutet hat.“
„Und?“
„Aber, Suzanne, versteh doch, in meinem Leben bist du dieser Mensch. Niemand bedeutet mir mehr als du, ich liebe niemanden mehr als dich. Niemand anderes als du wird mich jemals über die Schwelle des Todes führen können! Und deshalb habe ich auch nichts gespürt, als ich angeblich tot war. Weil ich nicht sterben konnte, weil niemand da war, um mich über diese Schwelle zu führen.“
„Das ist idiotisch.“
„Solange du lebst, bin ich unsterblich.“
„Das ist morbide.“
„Aber nein, im Gegenteil. In meinem Fall ist das lebensbejahend.“
Endlich, endlich hat er es geschafft. Suzanne kann ein Lächeln nicht mehr unterdrücken, muss lachen, wegen seiner Frechheit, seinem immer noch jungenhaftem Charme, dem piratenhaften Glauben an die eigene Unzerstörbarkeit, mit dem er jeden Tag das Leben angeht. Endlich wirft Suzanne wieder einmal ihr Haar zurück, lässt das Lachen tief aus ihrer Kehle
herausperlen, greift zum Glas, stößt mit ihm an, und schaut ihm tief in die Augen, während sie einen Schluck nimmt.
Und er will etwas sagen, noch einen draufsetzen, doch er verspürt einen Luftzug. Als hätte sich eine Tür geöffnet, und richtig, jemand ist herein gekommen, ein Straßenmusiker steht plötzlich neben ihrem Tisch, ein südländischer Typ, zurückgeklatschte Haare, Menjou-Bart. An einem abgewetzten Ledergurt hängt ihm eine Selmer-Maccaferri über die Schulter, er greift in ihre Saiten und beginnt zu spielen.
„Douce Ambiance“. Das darf nicht sein. Das Lied gehört dem Manouche, das ist ein geschmackloser Zufall, ausgerechnet dieser Abend darf nicht durch einen profanen Stümper entweiht werden, der „Douce Ambiance“ zerstört, und er will ihm Einhalt gebieten, aber die Musik zwingt ihn zuzuhören. Die Musik ist gut, der Stümper ist gut, der Stümper ist besser als gut, der Stümper ist kein Stümper, der Stümper ist fast so gut wie der Manouche, und natürlich ist das kein Zufall, natürlich hat Suzanne das organisiert, der Stümper ist kein Straßenmusiker, der Stümper ist ein Genie, das Suzanne engagiert hat, um diesem Abend die Krone aufzusetzen, oh, wundervolle Suzanne, oh, wundervoller Abend, oh, wundervolles Leben, oh, unglaubliches Glück, oh, „Douce Ambiance!“
Und plötzlich, während einer dieser einmaligen Akkord-Kaskaden, sieht er die Griffhand dieses Gitarristen, und er sieht die verbrannte Haut, die verkrüppelten Finger, der Ringfinger und der kleine Finger, nach innen verdreht, und das kann nicht sein, das ist 1928 passiert, als die brennenden Zelluloid-Blumen den Wohnwagen in ein Inferno verwandelt hatten, und er sieht sich um, und plötzlich sieht er sich selbst auf dem Fußboden des Restaurants liegen, den Mund weit offen, als wolle er alle Luft dieser Welt einsaugen und könnte es doch nicht, und Suzanne sitzt rittlings auf ihm und schlägt immer wieder mit beiden Fäusten auf seine Brust und Georges steht neben ihr und schreit in ein Telefon hinein, aber er hört nicht, was Georges schreit, er hört nur „Douce Ambiance“, dieses einmalige, für die Ewigkeit gespielte „Douce Ambiance“, dieses „Douce Ambiance“, das nur einer so spielen konnte, und da ist plötzlich die große Tür aufgeflogen, die in diesen unglaublich hellen Raum führt, und neben dieser Tür steht Django, der Manouche, mit der Selmer-Maccaferri 704 und spielt „Douce Ambiance“. Und Django lächelt.
Und Django winkt.

„Django winkt“ ist eine Kurzgeschichte, die ich vor ein paar Jahren für die Anthologie „Wendepunkte“ geschrieben habe. Heute wäre Django Reinhardt 100 Jahre alt geworden.

Splitterbrötchen (CXXX)

Die sinnlose Entdeckung der Woche: Wenn man nach dem Genuss von Broccoli-Cremesuppe und Mohnkuchen aufstoßen muss, hat man plötzlich den Geschmack von Rotkraut im Mund.

Das Zitat der Woche stammt von Richard Sennett: „Die Stasi war eine Organisation wie Google. Sie hat nicht gewusst, ob sie all das Material über die DDR-Bürger verwenden würde, aber das Sammeln wurde zum Ziel, bloß damit der Staat die Daten hatte.“

Bei SpOn las ich von der Premiere eines Musicals über Barack Obama. Natürlich sann ich sofort nach einer Angela-Merkel-Variante. Ziemlich vorhersehbar fiel mir eine Schüleraufführung von „Die Physiker“ ein. Musikalisch untermalt von der Templiner Feuerwehrkapelle.

Wenn ein abgeblitzter Kandidat „Es waren drei positive Neins!“ in die Kamera stammelt, gewinnt sogar „Deutschland sucht den Superstar“ eine gewisse transzendentale Qualität.

Splitterbrötchen (CXXIX)

Die Facebook-Werbung der Woche: „Why be normal? Do Jivamukti Yoga! Hot, hip and holy in Berlin-Mitte.“

Ja, ich weiß. BILD ist böse. Aber die Schlagzeile „Dr. Tod plastiniert sich selbst!“ ist ein Geniestreich.

Dietrich Fischer-Dieskau hat ein Buch über Wilhelm Furtwängler geschrieben. Immerhin 69 Seiten stark. Und sein Verlag feiert diesen Kraftakt mit einem Buchpreis von 19,90 Euro.  Man gönnt sich ja sonst nichts.

Seit es Journalisten und Wetterdiensten gelungen ist, eine ganze Jahreszeit zu vergessen, muss Gedächtnisverlust als Kunstform angesehen werden.

Marcell Davis ist die neue Nicole Okaj.

Es liegt nicht viel Schnee

Liebe Leute von der Bahn, von der Berliner S-Bahn und von der Berliner Stadtreinigung!

Das mag jetzt wie ein Schock für euch kommen, aber dieses Wetter, das wir jetzt haben, ist weder Schneechaos noch Kältekatastrophe, sondern das, was es immer war: ein ganz normaler Winter. Es liegt noch nicht einmal sonderlich viel Schnee. Wenn auf den Straßen und Gehwegen ein paar Zentimeter Schnee liegen bleiben, anstatt sofort wieder wegzuschmelzen, dann ist das in den Monaten Dezember bis Februar vollkommen normal. Es liegt nicht viel Schnee.
Ihr könnt nicht behaupten, dass extreme Witterungsbedingungen daran schuld sind, wenn eure unzureichend gewarteten Züge schlapp machen, weil es schlichtweg keine extremen Witterungsbedingungen sind, die derzeit herrschen. Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: Es liegt nicht viel Schnee.
Es gab und gibt durchaus Winter, da lag der Schnee beinahe meterhoch am Straßenrand, wenn die Räumfahrzeuge der Stadtreinigung (das sind diese großen Autos mit den ulkigen Schaufeln vorne dran) durchgefahren waren. Dann konnte man nicht immer am Straßenrand parken, und wenn man die Straße überquerenwollte, musste man sich eine Lücke suchen, wo der Schnee nicht ganz so hoch lag. Und selbst diese Schneemengen (Ihr würdet natürlich von Schneemassen reden) waren und sind nicht riesengroß. Im Winter ist so viel Schnee ganz normal. Es lag damals nicht viel Schnee, und es liegt heute nicht viel Schnee.
Auch Eisregen ist in diesen Tagen des Jahres etwas vollkommen normales, um nicht zu sagen alltägliches. Wenn ihr Torfköppe von der Bahn also die geduldigste Gemahlin von allen und mich zwei Stunden lang im Bahnhof Göttingen sitzen lasst und als Begründung für die Verspätung angebt, Eisregen habe unerwartet sämtliche Oberleitungen in Niedersachsen lahmgelegt und den ICE-Verkehr damit zum Erliegen gebracht, dann ist mit diesem Eisregen eigentlich alles okay. Der ist jahreszeitlich zu erwarten. Den gab’s auch schon in den Jahren zuvor, und er hat Euren Oberleitungen nichts ausgemacht. Das einzige, was an diesem Winter nicht normal ist, sind Vollspaten wie Ihr, die ihre Arbeit nicht richtig erledigen können und ihre Kunden für so doof halten, dass man denen ein ganz normales Winterwetter zur Naturkatastrophe hochjazzen kann. Ein letztes Mal, für Euch, zum Mitschreiben: Es liegt nicht viel Schnee.

Tschö. Der Chris

Splitterbrötchen (CXXVIII)

Wenn man nach ein paar Jahren in die Heimat zurückkommt und dort eine junge Frau sieht, die einem bekannt vorkommt, fragt man sich „Kannte ich die?“ Wenn man nach vielen Jahren in die Heimat zurückkommt und dort eine junge Frau sieht, die einem bekannt vorkommt, fragt man sich „Kannte ich die Mutter?“

Der Spam-Betreff der Woche war: „Der Baumgeruch und Geldgeruch im Haus“

Das Zitat der Woche urheberte Rowan Atkinson vor 5 Jahren: „Das Recht, zu beleidigen, ist wesentlich wichtiger als jegliches Recht, nicht beleidigt zu werden.“

Bin ich der einzige, der sich bei dem Wort „Nacktscanner“ zuverlässig an die Anzeigenseiten in alten Jerry-Cotton-Heften erinnert, auf denen es eine „Röntgenbrille“ zu kaufen gab?

Splitterbrötchen(CXXVII)

Weihnachten wird unterschätzt.

Kurz vor den Feiertagen wurde im Büro eine neue Türklingel – unter anderem mit Farbmonitor – installiert. Abschließend überreichte mir der Handwerker ein Handbuch, dass mir die Benutzung der neuen Türklingel erklärt. Handbücher für Türklingeln – der Preis des Fortschritts kommt mir manchmal ziemlich hoch vor.

Erkenntnis beim Kofferpacken: Knüllen ist das neue Falten.

Weihnachten wird überschätzt.